WG225 – zwei Briefentwürfe an Alma Mahler
Berlin, Donnerstag, 30. November und bzw. oder Freitag, 1. Dezember 1911

[Entwurf I]

Ich habe gehofft,
diese Zustände zu
zwingen, vermied, da-
ran zu denken u noch
mehr davon zu sprechen
\weil ich so garnicht
gewöhnt bin krank zu sein/
aber heute sehe ich ein
daß es Unrecht wäre,
wenn ich in dieser
Verfassung zu Dir komme
Darum schlage ich Dir vor,
laß uns lieber noch
etwas warten, bis ich
woler bin und Dir

Warten wir, liebes Herz,
bis es mir etwas besser
geht. Ich empfinde es sehr
bedrückend, daß ich Dir

gerade jetzt, wo Du mich
nötig hattest so wenig
sein kann u konnte
und \aber/ Du Die kannst mir
glauben, daß Vernunft-
gründe müssen schon
sehr überwiegen, wenn
ich aus freien St.[ücken] ein
Wiedersehn absage
_______________________

Ich bin in den 14 Tagen
Krankheit erschreckend
abgemagert und die
Reaktion zeigt sich
jetzt. Es war eben
eine richtige Blutver-
giftung

[Entwurf II]

Berlin-Wilmersdorf

      1.12.11

Gelieb\s/tes Herz,
als ich gestern von der Reise kam
befand ich mich in so jämmerlichem \miserablem/
Zustand, \so/ daß ich mich nieder\hin/legen
mußte. Ich hatte gehofft diese \meine/ Schwäche-
zustände zu zwingen, vermied da-
ran zu denken und davon zu sprechen
aber die Reaktion auf die \böse/ Zahn##- \geschichte/ \vergiftung/
giftung, die mich so herunterge-
bracht hat, kommt \zeigt/ erst jetzt
nach \ihre Nachwehen/. \Es war eine regelrechte Blutvergiftung/
Ich bin abgemagert und
sehe schauderhaft aus. \Ich frage Dich nun/ Sollte ich \Dich/ in
dieser Verfassung zu Dir kommen?
Willst Du \nicht/ noch etwas warten?
Weil ich so garnicht gewöhnt bin
krank zu sein, \Ich/ empfinde ich es fast
wie eine Schande und die Vernunft-
gründe müßten schon sehr über-
wiegen, wenn ich ein Wiedersehn
mit Dir aufschieben soll \will/. So \aber/
\ich fühle mich marode u sehe schauderhaft aus/
sollst Du mich lieber nicht sehen.
Es bedrückt mich Warten wir, bis
es mir etwas besser geht. Ich empfinde

\aber ich bin ganz marode u sehe schauderhaft aus/

So \Es/ bedrückendt \mich/, daß ich Dir gerade jetzt
wo Du mich nötig hättest so wenig sein
kann und konnte. Pflege \Du auch/ Deine Physis
liebes Herz; ich sehe jetzt an mir wie
wichtig für alles eine gute Körperver-
fassung ist und werde zusehen sorgen, daß
ich möglichst schnell wieder in ihren Besitz
\zu/ kommen \suchen/. Dann wollen \müßen/ wir uns
endlich wiedersehn! Ich träume davon, wie
ich mein Herz von Deinem Wesen wieder
neu bezaubern lassen werde und freue
mich auf eine Zeit die unser ist.
Was wird sie uns bringen? und
wird bald die Mauer vor Deinem
Herz Wird es kommen wie etwas
selbstverständliches und ohne unser
Zutun? Schreibe mir, \– Bitte –/ ich brauche
Deine Worte. Die Vernunftgründe
mußten schon sehr überwiegen, wenn ich
ein Wiedersehn mit Dir aufschieben
will; wünscht Du aber trotzdem, daß
ich komme, so telegrafiere mir.

 es nützt nichts, daß ich mich zwinge
nicht daran zu denken u davon zu schweigen,
ich muß mich \nun/ erst in Ordnung bringen.
Der Arzt rät mir zu einer Ausspannung.


Apparat

Überlieferung

, , , , , , , .

Quellenbeschreibung

4 Bl. (4 b. S.) – Briefentwurf I: Notizblock; Briefentwurf II: unbedrucktes Briefpapier, Tinte.

Druck

, S. 113, bei Anm. 146 (Auszug).

Korrespondenzstellen

keine.

Datierung

Das zweite Entwurfsstadium in Tinte wurde von WG eigenhändig auf den 1.12.11. datiert. Da der Entwurf I in Bleistift an zwei Stellen fast exakt die gleichen Formulierungen wie der Entwurf II in Tinte aufweist, ist dieser entweder auch am 1. Dezember, vielleicht aber auch einen Tag zuvor am 30. November 1911 entstanden, dem Tag von WGs Rückkehr aus Alfeld.

Übertragung/Mitarbeit


(Elke Steinhauser)


A

krank zu sein – Dieser Passus wurde, leicht umformuliert, auch in Entwurf II aufgenommen.

B

gerade jetzt, wo du mich nötig hattest – Diese Formulierung findet sich im Entwurf II wieder, der in Tinte verfasst wurde. Die Tintenfassung war möglicherweise als Reinschrift angedacht, jedoch nahm noch so viele Korrekturen, Durchstreichungen und Ergänzungen vor, dass es sich vielmehr um ein weiteres Entwurfsstadium zu handeln scheint.

C

Reise – s. WG223 vom 27. November 1911: Am Mittwoch-Donnerstag bin ich Alfeld-Hannover.